Was tun mit dem Ehrenbürger Hitler?

Veröffentlicht am 12.11.2013 in Pressemitteilungen

Seit den 80er-Jahren läuft Walter Baral, gegen die Ehrenbürgerwürde Adolf Hitler

Brisante Angelegenheit: Nichtöffentliche Diskussion um die Ehrenbürgerschaft des „Führers“ in Neckartenzlingen

Nürtinger Zeitung von 11.11.2013, Von Angela Steidle
 

Am 24. März 1933 hatte Adolf Hitler mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes im Reichstag die Macht im Deutschen Reich endgültig übernommen. Bereits einen Tag später fasste der Gemeinderat Neckartenzlingen einstimmig den Beschluss, Hitler die Ehrenbürgerschaft der Gemeinde zu verleihen.

NECKARTENZLINGEN. Das Dankesschreiben, mit der „krakelig kindlichen“ Signatur des Reichskanzlers, so Alt-Bürgermeister Hans Schäfer, ist im Besitz der Gemeinde und heute wohl ein seltenes historisches Dokument.

„Das ist alles nur symbolisch, das hat einen geschichtlichen Wert gleich null“, erhitzt sich Neckartenzlingens Alt-Bürgermeister Hans Schäfer. Er wehrt sich heftig dagegen, „dass Geschichte umgeschrieben wird“. Denn: „Die Neckartenzlinger hatten es damals ganz wichtig. Sie waren Nummer 33 von 4000, die das gemacht haben. Das ist eine Schande. Aber das kann man nicht ändern.“

Eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft müsse der Person zustellbar sein, so Schäfer, „das ist ein Phantom, dem laufe ich nicht hinterher“. Schäfer sieht auch in einer öffentlichen Distanzierung der Gemeinde keinen Sinn: „Das ist Populismus“, so der ehemalige Verwaltungs-Chef, „die Kirchheimer sind heute noch damit belastet. Wenn man das beschließt, bringt man alles nur wieder neu ins Bewusstsein. Das wäre sonst im Sande verlaufen.“

Als zweiter Neckartenzlinger Ehrenbürger neben Adolf Hitler fühlt sich Schäfer selbst nicht belastet: „Es ist nicht schön, aber ich kann’s nicht ändern. Hitler ist Geschichte. Ich lebe heute!“

„Mir geht es um die Aufarbeitung der Geschichte und darum, dass das nicht in Vergessenheit gerät“, erklärt der Neckartenzlinger Walter Baral, „ich fühle mich dafür verantwortlich, dass man gegen nationalsozialistisches Gedankengut ankämpft, dass so was nicht mehr passiert. Die ganzen Zusammenhänge kommen jetzt mit den Geschichtsjubiläen wieder hoch und wir tun nichts. Das muss endlich vom Tisch!“

Dass Walter Baral keiner ist, der Konflikte scheut, liegt seiner Biografie zugrunde: 35 Jahre war er Personalrat bei der Bank, wo er sehr ausdauernd für ein modernes Arbeitszeit-Modell gerungen hat. Nahezu 30 Jahre war Baral SPD-Gemeinderat, davon rund 20 Jahre im Fraktionsvorsitz. Für sein nachhaltiges Engagement wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Die Urkunde, die ihn auf die Spur der frühen Ehrenbürgerschaft Adolf Hitlers in Neckartenzlingen brachte, entdeckte Walter Baral eher beiläufig bei der Recherche zum Jubiläum eines örtlichen Vereins: „Ich habe mir die wenigen Unterlagen aus der Hitlerzeit durchgesehen. Mich hat interessiert, was in der Nazizeit hier war.“

„Hitler ist Geschichte. Ich lebe heute!“

Hans Schäfer, Ehrenbürger, Neckartenzlingen

Das gefundene Material hatte der Sozialdemokrat nicht nur dem Neckartenzlinger Geschichtsverein zur Verfügung gestellt. Bereits Ende der 80er-Jahre stellte der Gemeinderat mit seiner SPD-Fraktion einen Antrag auf Aberkennung der Ehrenbürgerwürde Adolf Hitlers. Der Antrag scheiterte.

Im Mai 2012 – Neckartenzlingens Gemeinderat bereitete die Verleihung der Ehrenbürgerschaft für Altbürgermeister Hans Schäfer vor – schrieb Walter Baral ein weiteres Mal an den Amtsinhaber, Bürgermeister Herbert Krüger: „Ehrenbürger zu sein bedeutet etwas Besonderes, etwas Außergewöhnliches, etwas Herausragendes. Es müssen Taten und Handlungen für die Gemeinde erfolgt sein. Die Ehrenbürgerschaft endet mit dem Tod, bleibt jedoch in den Annalen erhalten. Es ist höchste Zeit, mit der Aufarbeitung des unter den Nazis begangenen Unrechts zu beginnen und Stellung zu Vorgängen in unserer Gemeinde zu beziehen.“

Baral nennt dies „eine Herausforderung, die einer besonderen Handlungsweise bedarf“. Und er stellt Bürgermeister Krüger eine zentrale Frage: „Können wir es uns erlauben, die Geschichte unkommentiert zu lassen?“

Krüger spielte das Thema zurück in die nichtöffentliche Sitzung des Gemeinderats – mit dem Ergebnis, dass der Rat nach wie vor „keinen Bedarf sieht, in dieser Sache etwas zu tun oder diese Angelegenheit aufzurühren. Mehrheitlich möchte man die Sache ruhen lassen.“

Die beiden Einsichten, Geschichte könne man nicht ändern und eine Ehrenbürgerschaft erlösche automatisch nach dem Tod, hatten sich längst verhärtet. Der Bürgermeister selbst zeigt sich persönlich gesprächsbereit. „Verwaltung und Gemeinderat bewerten die Sache differenziert“, schreibt Herbert Krüger nach mehrfachem Drängen Walter Barals. Der bedauerte noch im April 2013, dass „der Wille zu einer Neuorientierung“ im Gemeinderat nicht vorhanden sei, und geht mit seinem Anliegen an die Öffentlichkeit.

Ohne Rücksprache mit dem Gemeinderat, so ließ Neckartenzlingens Bürgermeister Herbert Krüger am Donnerstag verlauten, nehme er keine Stellung zum Thema „Ehrenbürgerschaften“.

 

 

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